1. Woche ist vergangen

Wir haben jetzt, wo ich diese schreibe genau 12:30 Uhr meiner aktuellen Zeit und 3:30 Uhr deutscher Zeit. 

Genau vor einer Woche um diese Uhrzeit plus minus bin ich für meinen Abreisetag aufgestanden. 

Wie in dem letzten Blogeintrag zu lesen ist die Zeit bis hierhin unfassbar schnell rumgegangen und war gefühlt weggeatmet. Diese Aussage ist auch nicht falsch und entspricht vollkommen der Wahrheit. Wenn ich meine Perspektive jedoch ändere und schaue, was in der letzten Woche alles passiert ist, ist es, wie ich finde, doch sehr viel.

  • Ich habe vorerst alle meine Zelte in Deutschland unterbrochen
  • habe meine Wohnung mitsamt allem Inventar und allem Hab und Gut weggeben und an den nächsten Besitzer übergeben
  • habe die Arbeit für 13 Monate inklusive des bezahlten letzten Monats wo ich noch Urlaub habe, pausiert
  • habe die restliche Familie und liebe Menschen um mich herum zurückgelassen
  • hatte stressige Situationen bezüglich des Check-In und Co bis ich dann endlich am Gate war
  • bin in den Flieger gestiegen für die Reise meines Lebens
  • hab die ganzen Erfahrungen während des Fluges und Aufenthaltes in Hong Kong erlebt und durchlebt (und das waren nicht wenige)
  • hab meine neue temporäre Heimat in einem völlig übermüdeten und tranceartigen, nicht wirklich zurechnungsfähigen, Zustand erlebt
  • hab mich hier langsam akklimatisiert, wobei es schon ein extremer Temperaturunterschied ist zwischen Deutschland und Australien
  • habe erste Touren und Besichtigungen der Umgebung mit meinem Bruder gemacht
  • habe alle schmerzlichen Erfahrungen bezüglich der extremen Steigungen in beiden Richtungen gemacht, erlebt und gefühlt
  • habe erste Blasen gelaufen
  • eigene erste Erkundungen gemacht, die mich irgendwie schon mit einem Gefühl des Stolzes (es alleine geschafft und sich zurechtgefunden zu haben) erfüllt haben
  • war durch verschiedene Umstände schon mit mehreren Personen im Gespräch auf englischer Sprache
  • hab meinen ersten Sonnenbrand bekommen und bin ihn am auskurieren
  • hab das erste Mal meine Wäsche gewaschen und war fasziniert, wie sie innerhalb weniger Stunden trocken war. Hätte ich sie nicht abends und an einem für Australien kalten sommerlichen Tag, bzw. Abend gewaschen, wäre es noch schneller gegangen
  • habe sehr viel Vokabeln gelernt und englische Texte gelesen
  • viele Gespräche mit meinem Bruder geführt
  • einige Nachrichten und Mails geschrieben
  • meinen Blog geführt
  • mich an die neue Zeit einigermaßen gewöhnt, sodass ich jetzt annähernd in einem richtigen Rhythmus bin. Da ich so absolut übermüdet war, war ich ja der Annahme, einfach dann zur richtigen Zeit ins Bett zu gehen und wieder aufzustehen und meinem Körper dadurch zu verstehen zu geben, dass das jetzt der Ist-Zustand sei. Abgesehen davon, dass dies ja bereits am ersten Tag nicht geklappt hat, da ich ja einfach so tot müde war, das gar nichts mehr ging und ich dadurch noch weiter im falschen Rhythmus war, war es auch danach gar nicht so einfach, da mein Körper einfach zu den altbekannten deutschen Zeiten müde oder wach war. Aber mal ganz ehrlich. Was erwarte ich denn auch von meinem Körper? Tag ein Tag aus, Jahr ein Jahr aus, über viele Jahrzehnte hinweg hat er sich an diese Zeit gewöhnt. Sicherlich gab es mal den einen oder anderen Tag, wo man auch lange wach geblieben war oder eine Nacht aus welchen Gründen mehr oder weniger durch gemacht hat. Aber nachdem man dieses Defizit wieder aufgeholt hatte, war man in seiner Zeit wieder wach. Die innere Uhr war einem stets ein treuer Diener. Und nur weil ich denke, ans andere Ende der Welt mehr oder weniger zu fliegen, dass mein Körper dies einfach so akzeptiert, war vermutlich etwas zu viel erwartet und eigentlich auch recht unfair. Ist ja wie bei den Tieren, wenn die Uhrzeit in Sommer- oder Winterzeit umgestellt wird. Sag dem Magen Mal, dass er noch eine Stunde zu warten hat, weil irgendwer irgendwann dies mal entschieden hat, dass dem so sein soll. Bei Menschen natürlich auch, aber die haben ab einem gewissen Alter ein Verständnis dafür und können den Sinn und Zweck (wobei das sei mal dahingestellt) nachvollziehen, im Gegensatz zu den Tieren, für die es erst mal wieder eine riesige Umstellung ist. 

Also ich finde, dass das für eine Woche doch sehr viel ist.

Obwohl die Aussage, dass die Zeit schnell vergangen sei, nicht falsch ist, sollte man dennoch öfters den Blickwinkel wechseln, um das zu sehen, was es auch noch zu sehen gibt. (Ist ein bisschen wie mit den Trugbildern, wo man auf den ersten Blick das eine sieht und bei genauerem Hinsehen noch ein völlig anderes Bild).

Ich frage mich manchmal, warum der Mensch den Blick so oft, oder wie ich finde meistens immer erst auf das Negative gerichtet hat und erst dies wahrnimmt, bzw. diesem eine höhere Gewichtung gibt. Was vielleicht gerade nicht so läuft, oder schief gegangen ist, anstatt das wahrzunehmen, was zum Beispiel an einem Tag x, bis zu dem Zeitpunkt wo irgendwas Blödes passiert ist, alles Positives stattgefunden hat oder Sachen, die wir gar nicht mehr als Positiv wahrnehmen. Zum Beispiel die Dankbarkeit überhaupt aufgewacht zu sein (und noch einen weiteren und hoffentlich noch ganz viele weitere Tage auf dieser Welt verbringen zu dürfen). Oder überhaupt in einem Bett eingeschlafen sein zu dürfen, um darin wieder aufwachen zu können. Dankbar zu sein, atmen zu können, (was wenn man gerade eine Erkältung oder schlimmeres hat, nicht mehr als so selbstverständlich wahrgenommen wird und man es dann umso mehr zu schätzen weiß). All diese Beispiele und vieles mehr. Ich kann natürlich nur immer von mir reden, wenn ich das so schreibe. Aber all das nehmen wir als selbstverständlich an und weder bemerkenswert ( im Sinne es wirklich als das was es ist wahrzunehmen) als auch in dem Sinne, dass es nichts Besonderes ist. Wir sollten viel bewusster durch das Leben gehen und viel mehr hinterfragen, damit wir es durch den anderen Blickwinkel viel mehr zu schätzen wissen. Auch, dass wir die Menschen um uns haben, die wir um uns haben, ist alles andere als selbstverständlich.

Vor einiger Zeit habe ich von irgendwo oder von irgendwem mal eine sehr schöne Übung zum Thema Perspektivenwechsel gelesen oder gehört. Gemacht habe ich sie nicht, aber sie ist mir im Geist geblieben und kommt immer mal wieder zum Vorschein. Es gab diese in zwei Ausführungen, vielleicht waren es auch zwei komplett getrennte Übungen. Beide haben jedoch den gleichen Effekt und sind noch unterschiedlich erweiterbar.

Die Übung sieht folgendermaßen aus. Man hat ein sehr großes gläsernes Gefäß. Jedes Mal wenn einem etwas Positives widerfährt, mag es ein gutes außergewöhnliches Gespräch sein, ein unerwartetes Geschenk, eine unerwartete Geste, eine Situation die einem ein richtig gutes Gefühl vermittelt hat, Situationen die einen glücklich gemacht haben und so weiter ( – ich denke das Prinzip ist klar – ), schmeißt man eine Murmel in diesen Behälter. Zweite Variante dazu wäre, all diese Sachen jeweils auf einen kleinen Zettel (oder in ein Buch) zu schreiben und dies irgendwo aufzubewahren. Und immer wenn es einem schlecht geht, man sich schlecht fühlt oder einem sonst irgendwas über die Leber gelaufen oder passiert ist, was einem in eine negative Stimmung verfallen lässt, kann man sich dieses Glas voller positiver Erfahrungen, Situationen und Momente anschauen und den momentan kleinen Eindruck, Gefühlsleben, Perspektive in einem anderen Blickwinkel und vor allem Relation setzen.

Wenn man sich vor Augen führt, was man in einem Zeitraum von dem Start dessen bis jetzt (vielleicht insgesamt für eine Dauer von einem Jahr – da man sonst extrem viele Murmeln bräuchte) alles an Positives erlebt hat, scheint einem das kleine Negative vielleicht nicht mehr so ins Gewicht zu fallen. Ein weiterer Vorteil ist, dass man sich dadurch all das Positive wieder in den Geist zurück ruft, indem man es einfach sieht. Wie gesagt, der Mensch neigt dazu, den Blickwinkel auf das Negative zu richten und das Positive manchmal gar nicht mehr wahrzunehmen oder es zumindest von der Wertstellung hintenan zu stellen. Was wie ich finde sehr bedauerlich ist.

Hier ein kleines Beispiel, um es zu verbildlichen. 

Man hat ein bis zwei Wochen Urlaub, sagen wir zwei Wochen. Vermutlich den Großteil des gesamten Jahresurlaubs. Man freut sich ungemein auf diesen und hat ihn auch bitterlich nötig. Man startet den Urlaub und verbringt eine unfassbar schöne Zeit, sammelt ganz viele Eindrücke, erlebt die tollsten Sachen, trifft vielleicht neue Menschen aus denen neue Bekanntschaften und vielleicht sogar Freundschaften entstehen, isst gut, schläft so gut wie seit Jahren nicht mehr, ist völlig entspannt, ausgeglichen und es geht einem wirklich gut. Nun ist der Tag der Rückreise gekommen. Man hat verschlafen und dadurch einen stressigen Start in den Tag, das Taxi kommt nicht, der Zug, Flug oder was auch immer hat Verspätung, man steht in einem stundenlangen Stau, in dem nichts vor oder zurückgeht oder sonst irgendwas passiert. Wer erkennt sich darin jetzt nicht wieder, dass all die vorher so positiv empfundenen Energien und Entspannung dahin weichen in dieses Gefühl, was einem gerade in den Magen schießt, wo man das Negative erlebt. Wenn einige Zeit des Urlaubes vergangen ist, kann man sich an all die positiven Erlebnisse vielleicht nicht mehr im Detail erinnern. Aber an das Negative wird man sich erinnern, bzw. stellt es zumindest in Relation und hat dann einen großen Teil der Erinnerungen an den Urlaub in Beschlag genommen. 

Aber ich meine es auch auf rein energetischer Ebene. Gleiches Beispiel wie eben. Alles toll, alles schön. Dann zurück auf der Arbeit und den Alltag und man wird erschlagen von was auch immer (Eindrücken, Leute, die von einem etwas wollen, eventuell die vorherrschenden Energien der Leute, die kein Urlaub hatten, Problemen). Mit einem Schlag sind alle zuvor empfundenen Glücksgefühle von dannen und man hat augenblicklich das Gefühl, wieder Urlaub zu brauchen. Dafür braucht es manchmal nicht mal fünf Minuten, um dieses Gefühl zu bekommen. Und was sind fünf Minuten im Vergleich zu den vorher positiv empfundenen und erlebten 336 Stunden oder 20.160 Minuten? Und dennoch fühlen wir uns dann in dem Moment wie wir uns fühlen und nehmen das wahr, und geben die entsprechende Gewichtung.

Denke ich konnte rüberbringen, was ich damit meinte. 

Rückblickend für diese Woche kann ich nur sagen und für mich reflektieren, dass es die beste Entscheidung meines Lebens war und ist, diesen Schritt zu wagen und diese Reise angetreten zu haben. Auch wenn ich noch nicht genau weiß wohin sie mich überall hin führen wird und welche Erfahrungen ich dabei machen darf, freue ich mich unfassbar auf dieses Abenteuer. 

Zudem scheint alle Schwere, die ich zuletzt in Deutschland gespürt und erlebt habe, in Deutschland geblieben zu sein. Ich fühle mich wie neugeboren, leichter, entspannter und ohne eine tonnenschwere Last auf den Schultern.

Sicher mag der eine oder andere jetzt sagen oder denken, dass ich in der ersten Woche noch eine rosarote Brille auf habe. Ja, das mag sein. Aber daran ist ja auch nichts verkehrtes. Sicher wird auch hier irgendwann ein Alltag eintreten und sich das eine oder andere Problem offenbaren. Aber das würde es ja aller Voraussicht auch in Deutschland, da das Leben keine gerade Linie ohne jeglichen Ausschlag in die eine oder andere Richtung ist. Aber allein diesen aktuellen Ausblick jeden Morgen zu haben, die ganzen (teilweise unbekannten Tiere) ständig zu hören und teilweise zu sehen (auch wenn dies in meinem direkten Umfeld noch nicht so sonderlich viele waren). Für Urlauber und Menschen auf Durchreise ist Deutschland auch ein wunderschönes Land, aber man selbst, zumindest ich selbst habe es am Ende nicht so empfunden, wie ich jetzt Australien (Worongary wo ich mich aktuell aufhalte) empfinde. Und sicherlich besteht die Gefahr, dass ich mich auch an all das gewöhne und es dann nichts besonderes mehr ist, so wie für all die Menschen, die schon Jahrzehnte hier leben. Aber ich hoffe, dass es in meinem Fall noch sehr sehr lange dauert, dass ich mich daran gewöhne. Und ich habe ja auch den Vorteil, dass ich nur auf Durchreise bin und noch einige andere Städte und Länder auf mich warten, bevor ich am Ende meiner Reise in mein Zuhause zurückkehren werde. 

Zusätzlich kommt dazu, dass wenn man nicht den Alltag des Berufslebens und täglichen Arbeitens mit festen Zeiten und Vorgaben hat, unfassbar viel Zeit für das Leben an sich vorhanden ist, weswegen solche Probleme wie in Deutschland im Alltag hier gar nicht aufkommen werden.

Für all diejenigen, welche meine Einträge verfolgt haben und nach wie vor verfolgen, danke ich recht herzlich fürs Lesen, teilhaben, sich Zeit nehmen und hoffe, dass sie einen kleinen Eindruck vermitteln können, wie ich mich fühle und was ich erlebe.

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